Sturmflut
Wie zuvor und auch danach schon andere, so entwickelte in den Jahren 1805/
1806 der Hydrograf der britischen Admiralität, Francis Beaufort, eine Einteilung
der verschiedenen Windgeschwindigkeiten und den entsprechenden Maßnah-
men auf einem Segelschiff. Ergebnis waren die rechts abgebildeten Aufzeich-
nungen.
Über verschiedene Weiterentwicklungen kommt
es letztlich zur heute gebräuchlichen einfachen
Beaufortscala der Windgeschwindigkeiten mit der dazugehörigen Darstel-
lung, bzw. den Graden der Zerstörung, an Land, sowie des Verhaltens der
See.
Wenn auch für unsere Breitengrade kaum von Relevanz, so wurde dennoch
1949 die geläufige Skala erweitert, um nicht auf die für Hurrikane oder Tor-
nados bestimmte Saffir-Simpson-Skala ausweichen zu müssen:
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Windstärke 13 : Windgeschwindigkeit: 134 - 149 km/h
•
Windstärke 14 : Windgeschwindigkeit: 150 - 166 km/h
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Windstärke 15 : Windgeschwindigkeit: 167 - 183 km/h
•
Windstärke 16 : Windgeschwindigkeit: 184 - 202 km/h
•
Windstärke 17 : Windgeschwindigkeit: > 202 km/h
Für eine Küstenstadt wie Cuxhaven, die ständig auf den guten Wil-
len des Meeres angewiesen ist, wie über die Jahrtausende immer
wieder vom Meer klargestellt wurde, ist dabei, mehr als der Sturm
selber, dass durch ihn, bei ungünstiger Windrichtung, aufgestaute
Seewasser, welches aus der Nordsee, wie in einen Trichter, in die
Deutsche Bucht getrieben wird. Dass es bei ausreichender Wind-
geschwindigkeit und zeitlicher Ausdauer zu immensen Kraftein-
flüssen des Windes auf das Meer kommen kann, zeigen die Höhen
der Deiche, die schlimmstenfalls nicht mal ausreichen, wie sich immer mal wieder herausstellt. Solch ein
Ereignis nennt sich dann Sturmflut. Die Auswirkungen der gemeinsamen Gewalt von Sturm und Meer lassen
sich ansatzweise aus der obrigen Beaufortskala ersehen. Ebenso versuchen die beiden folgenden animier-
ten Darstellungen die Auswirkungen des Windes und des Meeres bei den einzelnen Windstärken darzustel-
len.
Sturmflutdarstellung
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Ein paar Beispiele der Wasserkraft
Eine 10 m hohe Welle hat die 100fache Energie einer 1 m hohen Welle.
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Bei Wick in Schottland wurde ein 1350 Tonnen schwerer Betonblock um
10 m verschoben.
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Auf den Shetland-Inseln wurden Blöcke von bis zu 13 Tonnen 20 m über
den Meeresspiegel an Land geschleudert.
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1962 wurden bei Westerland/Sylt drei 6 Tonnen schwere Tetrapoden
(vierbeinige Bauelemente mit nur wenig Angriffsfläche) aus Beton zum
Schutz der Ufer mehrere Meter verlagert.
Sturmflut - erleben
Wie unterschiedlich das Elementarereignis Sturmflut auf Menschen wirken kann drücken die beiden folgen-
den Berichte zweier Urlauberinnen in Büsum während der Sturmflut im Januar 1976 aus.
Eine Binnenländerin aus Irgendwo
"In wetterfester Kleidung gehüllt eilte ich zum Deich. Und da wird man mit hineingenommen in den Aufstand
der Naturgewalten - man verliert sich an den Sturm, der einen nicht mehr aufrecht stehen lässt und das Wort
vom Mund reißt. Man sieht die brodelnden Wassermassen über den Grünstrand kochen. Es ist wie ein wil-
des Abenteuer, in das man sich einlässt wie ein Kind, das von der Gefahr keine Ahnung hat. Der Wind weht
uns förmlich den Deich entlang. Man lässt sich treiben und genießt - ja, ich genieße dieses unmittelbare aus-
geliefert sein an die Kräfte der Natur."
Dann zur Hochflut:
"Und so liefern wir uns noch einmal diesem Rausch des Abenteuers aus. Wir verlieren hier keinen Besitz, wir
sind frei von materiellen Bindungen. Für uns ist dieses alles ein einmaliges Naturereignis.
Erst am Abend, als erste Bilder gezeigt werden von Deichbrüchen und Überflutungen, da wird uns klar, dass
diese gleiche Gefahr auch für Büsum bestanden hat. Wasser, das erbarmungslos alles überflutet und mit-
reißt. Wir werden doch recht nachdenklich. In die Abenteuerlust des Mittags schleicht sich die Angst vor der
Nacht."
Eine andere Besucherin berichtet
"Im hintersten, sprich höchsten (Alpen-) Bayern lebend, begreift man die Nordsee in erster Linie als Weite.
Dann schließen sich an: Strand, Sonne, Wolken, frische bewegte Luft und natürlich endlose Wasserfläche
mit lebendiger, `vergnügter´ weißer Brandung am Saum. Dann fühlt man Ruhe, ausdehnen, sich-treiben-
lassen. Nirgends auch nur andeutungsweise eine Verbindung zu Unruhe, Gewalt, Sturm.
Wir leben in den Bergen umschützt in den kleinen grünen Tälern. Unser Blick wendet sich an den Hängen
empor nach oben. Von dort kommen der Tag, die Sonne, segensreicher Regen, Schnee - Auch wir fürchten
manche Naturgewalt: Sturzbäche, Lawinen, einen Absturz. Wir drängen uns unten schützend und tätig und
genießend aneinander.
Urlaub heißt für mich, in eine andere Welt treten, ebenso schön, unbedingt angenehm, im fühlenkönnen
nicht fremd, aber doch ganz anders ... Deshalb fuhr ich an die Nordsee. Zum ersten mal. Bei uns im kleinen
Bergdorf gibt es keinen Urlaubertrubel, kein Gedränge, nicht Bratwürstl- oder Fischbratdünste, kein lautes.
Darum fuhr ich im Winter, auch wegen des am Meer milden Klimas, ohne Schneeglätte, friedlich, still bis
zum Horizont. Viel, viel weiter entfernt der Himmel. Das glaubte ich!
Neujahr kam ich in Büsum an: Tiefhängende Wolken, Nässe, die Luft etwas milder, aber unruhig, windig, in
kleinen Stößen, von fast überall in den vielen engen Straßen um hochgetürmte Steinhäuser herum. Dort be-
kam ich mein helles, sauberes, sehr weiß getünchtes Zimmerchen. Wie die Landschaft, um in die Weite zu
schauen: Nicht das umschließende, heimelige, wie bei uns.
Dann sah ich ihn zum ersten mal: Den Deich, sehr hoch, stark!. Ganz unten erst das Meer, geduckt, aber
zuckend, grau. Wolkenfetzen oft tief darüber. Und kurze Windböen fegten den Seedeich. Gewaltig dieser
Deich! Wozu? Wegen des Gischtes, den ein Sturm aufwirbeln könnte? Denn woher sollte so sehr viel mehr
Wasserhöhe plötzlich kommen? Das dachte ich.
Am anderen Tag, ich war die Nacht mehrmals aufgeschreckt vom ungekannt hart am Haus rüttelnden Sturm,
da wunderte ich mich nicht mehr. Ich erfasste aber auch alles Geschehen um mich nicht mehr wirklich. Von
allen Seiten drängte es gewaltsam auf mich ein: Sturm stieß, Nässe peitschte mich. Und als ich erst von
meinem trotz allem unverständliche, fast stoische Ruhe ausstrahlenden Gastgeber mehr hingezogen als
selbst getrieben bei Stümpelhuk auf diesem scheinbar gewaltigen Deich stand, da brüllte mich die Urgewalt
unmittelbar an: Von allen Seiten hoben sich mir die Wassermassen des Meeres entgegen, schossen die Ra-
senschräge herauf und schlugen wild auf den Erddeich, böse, maßlos. Und ab und zu züngelte es rüber. Tief
unten auf der anderen Seite: Der Ort, die Häuser, die vielen Menschen! Wenn die Elemente tobend von allen
Seiten auf die Menschen, auf mich herabbrechen, und wir alle darin versinken - Panik beschlich mich!
Rennend, so gut es ging, zur Pension, packen, Taxi gleich bis Heide: flüchten, fortlaufen, dem schrecklichen
entrinnen! Kann man´s? Ich war während der ganzen Rückreise wie im Trance, ich schlief mehrere Nächte
schlecht; ich beruhigte mich später.
Aber ich hatte verstanden! Die Nordsee ist schrecklich! Hochachtung wuchs vor den Menschen am Meer.
Ich bin nur ein kleiner feiger Mensch. Aber hier, geborgen zwischen den Bergen: Eine Lawine kommt allen-
falls an einer Stelle herab, die ganze uns umgebende Bergkette lässt niemals so viel Unglück herüber strö-
men. Nun lebe ich viel dankbarer hier!"
Hier ging die Sturmflut wie sie kam, ohne größere Schäden zu hinterlassen. Das Sturmflut auch ganz anders
aussehen kann, findet sich immer wieder nach furchbaren Ereignissen in der Literatur. So in einer der frühen
schriftlichen Überlieferungen einer Sturmflut, hier der 2. `groten Mandränke´, der sogenannte `Buchardiflut´,
vom 11./12. Oktober des Jahres 1634. Diese hatte sich besonders in Nordfriesland ausgetobt und unter an-
derem die ehemalige Insel Strand untergehen lassen, von einzelnen Resten, wie Pellworm, Nordstrand oder
zwei kleinen Halligen abgesehen. In seiner `Nordfriesischen Chronik´ schildert der Nordstrander Magister
und Pfarrer Anton Heimreich sein Erleben wie folgt:
„Das Gott der Herr durch außlassung der Wasser das Land könne umbkehren / solches haben diese Nord
Fresche Landschafften benebenst allen an der West See liegenden Marsch Ländern am Tage Burchardi (so
am Sontage gefellig) des 1634 Jahres besonders müssen erfahren / indem am Tage zuvor (als am 11. Octo-
bris) sich ein ungeheurer Sturmwind aus dem Süd Westen erhoben / so sich in folgender Nacht auf halber
Sprinckfluth nach dem Nordwesten gewendet / und so gar übel gehauset / daß er nicht allein hin und wieder
die Häuser auff- und abgedecket / auch unzehlig viel gar hinweg genommen / dazu in den Wäldern und
Holtzungen starcke und dicke Bäume bey Hauffen niedergeschlagen / und mit den Wurtzelen aus der Erden
gerissen / sondern auch das Wasser und Meer in der West-See dermassen bewogen und auffgetrieben /
daß es in denen an derselben und an der Elbe belegenen Ländern / als in Stormarn / Dithmarschen / Eider-
stet / NordStrand / Jüthland und andern Ortern hin und wieder eingegangen / Teiche und Dämme zerrissen /
und dahin gekommen / da man zuvor niemals keine Fluth vernommen / viele 1000 Menschen und Vieh er-
säuffet / Häuser und Güter weggeführet / und solchen Schaden gethan / daß es nicht zu beschreiben. Da
denn auch die finster Nacht nicht allein die abhandene grose Gefahr bey vielen hat verborgen / sondern
ihnen auch alle Mittele derselben zu entkommen beraubet Weßhalben ihrer viele Mutternacket von ihren
Bette bey sicherem Schlaffe sein weggetrieben / andere durch ungestümigkeit des Wetters erwecket / haben
davon fliehen oder ihre Güter erretten wollen / allein sein zunebenst ihren Häusern und Gütern von den Wel-
len weggeführet worden. Derhalben viele in dem sie gesehen / daß alle Mittel zu entkommen vergebens /
und sie zweyfels frey mit ihren Haußgenossen von den Wellen würden weggeführet werden / sich und ihre
Weiber und Kinder mit Stricken haben aneinander gebunden / daß wie sie alle die Natur und die Liebe
vereiniget / also auch sie die grausamen Wellen nicht möchten trennen. Viele haben sich / mit allen ihren
Haußgenossen auf den Dächern und Häusern begeben / und sein auff denselben / als auff einem Schiff /
herumb geführet worden. Welche aber bald von den Wellen zuschlagen / und also diese elende Leute elen-
diglich voneinander getrennet / daß auf dem einen Stück der Vater / auff einem andern die Mutter hingetrie-
ben / auf einem andern die zarten Kinderlein. Und hat es allenthalben ein jämmerliches Ansehen gehabt
massen man gesehen / wie das unzehlich viele todte Menschen herumb getrieben / Kisten und Schappen /
Bette und Bettegewand / Laden und allerhand herrlicher und kostbahrer Haußgerath auff dem Wasser ge-
schwemmet / wie viele Männer / Weiber und Kinder auf stücken Häuser / Breter / Balcken / und dergleichen /
neben und unter den annoch stehenden Häusern hingefahren / und Gott und Menschen umb Hülffe und
Errettung angeschrien. Und ist das aller grösseste Elende gewesen / daß die solches gehört / ihnen auf ihr
klägliches jammer-Geschrey nicht haben können helffen."
Als Folge dieser Sturmflut gingen von den 31 Kirchspielen der Insel
Strand 17 verloren, 19 Dörfer. Mit den nachgewiesenen über 6.000
Toten waren zwei Drittel der Bevölkerung ausgelöscht. Tatsächlich war
die Zahl der Toten noch weitaus höher, da sich zu der Zeit viele nicht
registrierte Erntehelfer auf der Insel befanden. Weiterhin gingen verlo-
ren 50.000 Stück Vieh, 1.300 Häuser, 30 Windmühlen und nicht zuletzt
die gesamte Ernte. Und die Insel selber? Geblieben ist nach der Sturm-
flut letztlich garnichts, abgesehen von einer Hochmoorfläche, dem `hoo-
gen oder auch wüsten Moor´, heute Hallig Nordstrandisch- (Lütt-) Moor.
Wie aus der nebenstehenden Karte zu ersehen, musste jedes einzelne
Stück Land, jeder einzelne Koog durch möglichst schnelle Eindeichung
erst wieder dem täglichen Einfluss des Hochwassers und der täglich
erneuten Überspülung entzogen werden, um nicht zu Wattenmeer zu werden. So gelang mit der Zeit die
Rettung der heutigen Inseln Pellworm und Nordstrand als etwa 2/5-Rest einer einstmals großen Insel, die
bereits 1362 in der 1. großen Mandränke ihren gesamten Mittelteil aufgeben musste. Darunter die Ortschaft
Rungholt, die später durch ein Gedicht des Schriftstellers Detlev von Liliencron zum mystischen Ort, dem
Vineta des Nordens, erhoben und 1921 von dem Nordstrander Bauern Andreas Busch wiederentdeckt wur-
de.
Vor diesem Hintergrund hat es seinen Sinn wenn an der Küste von jeher der Spruch galt: “Wer nicht will Dei-
chen muss weichen”. Wer nicht mehr in der Lage war, sein Deichstück aufrecht und in Ordnung zu halten
konnte vom Spatenrecht gebrauch machen und seinen Spaten in den Deich stechen. Damit war er zwar sei-
ner Deichpflicht entledigt, gleichzeitig aber auch seines gesamten Besitzes. Wer den Mut hatte konnte den
Spaten aus dem Deich ziehen und war damit Besitzer des aufgegebenen Hofes aber auch der Deicherhal-
tungspflicht.
Abspann
Quellen
•
Anton Heimreich: Nordfriesische Chronik
•
Bodenseewetter.eu
•
Cuxhavener Deichverband
•
Internet
•
Leipziger Volkszeitung-online
•
Met Office
•
Mini Sail e.V.
•
Newig/Theede: Sturmflut, Verlag: Ellert & Richter, ISBN-10: 3892349320, ISBN-13: 978-3892349327
•
Petersen/Rohde: Sturmflut - Die großen Fluten an den Küsten Schleswig-Holsteins und in der Elbe,
Wachholtz-Verlag, ISBN3 529 06163 8