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Von Hamburg nach Helgoland
Skizzenbuch von Karl Reinhard
Leipzig, Verlagsbuchhandlung von J.J. Weber, 1856
I. - Die Einschiffung.
Das Dampfschiff Helgoland. - St. Pauli. - Altona.
Wenn der Mai in seiner geheimen Werkstätte an dem grünen Kleid der Natur gearbeitet und die Landschaft
gleich einer geschmückten Braut dem Juni zugeführt hat; wenn dann auf dem Lande tausend und abertau-
send Sänger im wonnigen Blüthenduft, in Wald und Wiesengrün ihre Lieder singen; wenn von den nordi-
schen Meeren die Stürme fortgezogen, um sich in der andern Hemisphäre, dort wo am Kap Horn der alte
Felsenriese steht, einen Tummelplatz zu suchen; wenn die rastlos gejagten Wogen ihre schäumende Stirn
glätten und sich lang hingestreckt im warmen Sonnenschein auf der Düne lagern können, dann erfaßt es
uns mit gewaltiger, geheimnißvoller Macht gleich den Zugvögeln und zieht uns hinaus, weg von der Heimat,
von Haus und Stadt. Der Strandbewohner wandert Flußauf, bis er verwundert den gewaltigen Strom zum
Bach werden sieht; der Binnenländer hinab, weiter und weiter bis sich das unendliche Meer mit seinen Wun-
dern vor dem erstaunten Blick ausstreckt.
So auch Jene, die am sonnigen Junimorgen der Landungsbrücke für
Dampfschiffe am Hamburger Hafen zueilen, wo der prachtvolle Damp-
fer Helgoland, aus den zwei Schornsteinen rauchend und pustend,
ihrer harrt, um sie über das Meer zur Insel zu führen.
Die Brücke, deren äußerer Theil aus drei flachen Fahrzeugen besteht,
die sich mit der Ebbe und Fluth heben und senken, ist mit Menschen,
Koffern, Kisten, Körben und Karren vollgestopft. Blumen, Früchte, Ge-
müse und andere Lebensmittel sind besonders überwiegend vorhan-
den und theilen den Raum, der ja noch übrig bleibt, mit Sonnen- und
Regenschirmen, Hutschachteln und Reisetaschen, zwischen denen
man sich den Weg zum Schiff suchen muß, auf das man über eine
ausgelegte Brücke gelangt.
Was vom Gepäck nicht unter den Händen der Matrosen verschwinden soll, um erst in Helgoland wieder an
den Tag zu kommen, muß man hartnäckig festhalten und in der Kajüte irgendwo unterbringen, ehe man sich
auf das Hinterdeck begiebt, von wo aus man im Schutz des ausgespannten Sonnenzeltes die Umgebung
gemüthlich beobachten kann.
Nachdem der erste Blick jener Gegend zugerichtet war, wo wir das
Meer vermuthen, fällt er unwillkürlich wieder in die nächste lebendige
Umgebung, auf die Brücke selbst mit ihrem alten malerischen Pfahl-
werk, den darüber hervorragenden baumreichen Stintfang, dem der
Michaelsthurm wie neugierig über die Schulter sieht, rückwärts den
Hafen mit seinem undurchdringlichen Mastenwald, an dem die Flag-
gen aller Nationen wehen. — Zu unsern Füßen schwimmen hunderte
von Jollen und Ewern, welche die Producte aller Erdtheile von und
nach den Schiffen führen, und auf die Brücke stürzt sich wieder ein
neuer Schwarm von Passagieren, um mit seinem Gepäck die Verwir-
rung auf den Gipfelpunkt zu treiben.
Plötzlich ertönt die Schiffsglocke so schrecklich in die Ohren einiger
Säumigen, daß dieselben mit Hinterlassung aller irdischen Habe auf
das Schiff stürzen und es den glücklicherweise ehrlichen Kofferträgern
überlassen, nach eigenem Gutdünken mit den Reiseutensilien zu ver-
fahren. Einige Nachzügler und Langschläfer kommen wohl dann noch in verzweifeltem Galopp angesprengt,
während eine Masse von Leuten, die Neugier, Geschäfte oder Abschiednehmen nach dem Schiff brachte,
das Land zu gewinnen suchen. Die Taue werden nun von der Brücke gelöst, die Räder beginnen zu schla-
gen und das Schiff setzt sich schneller und schneller in Bewegung.
Wehe nun jenem Unglücklichen, der jetzt noch etwa mit der Reisetasche in der Hand auf der Brücke er-
scheint. Grausamer, unbarmherziger Spott ist sein Loos, und ich werde jenen Mann nie vergessen, der
einmal um zwei Minuten zu spät kommend, eine Reisetasche in der Hand und tiefe Wehmuth im Gesicht
dem Capitän zurief: „Herr Kapitän, halten Sie an, ich bin aus Zwicke!", was maßlose Heiterkeit erregte.
Das Dampfschiff Helgoland, welches jetzt mit uns der See zueilt, ließen die Rheder, Gebrüder Godefroy in
Hamburg, zu Greenock in Schottland eigens für diese Fahrt erbauen. Es ist von Eisen und das schnellste
Dampfschiff, welches die Elbe befahren hat, denn es läuft in der Stunde 15 Seemeilen, was etwa 4 deutsche
Meilen ausmacht. Die Länge beträgt l95 Fuß englisch, die Breite 22 Fuß. Die Maschine hat 240 Pferdekraft
und wird aus zwei Kesseln mit Dampf versehen, weshalb das Schiff auch zwei Schornsteine hat, die indeß
nicht wie auf den amerikanischen Dampfern zu beiden Seiten, sondern der Länge nach stehen.
Die Einrichtung der Kajüten ist einfach, aber sehr geschmackvoll. Der
Salon, im hintern Theil gelegen, hat zu beiden Seiten fortlaufende So-
phas, die mit dunkelm Sammet überzogen sind. Im Hintergrunde ist ein
durch Vorhänge abgeschiedener Raum, dessen Dunkel gern von an-
gehenden Seekranken, die sich gewöhnlich noch etwas geniren, auf-
gesucht wird. Rechts vor dem Salon ist die Damenkajüte und links eine
Art Toilettenzimmer von der Größe eines mäßigen Schilderhauses.
Dem Salon gegenüber befindet sich ein kleineres Zimmer mit grünen
Sammetmeubles, recht traulich gelegen für solche, die sich während
der Fahrt etwa der stillen Betrachtung einer Weinflasche überlassen
wollen oder sich bei ungünstigem Wetter die Zeit mit Lectüre zu ver-
treiben suchen.
Der Speisesaal liegt nach vorn zu und nimmt ziemlich den größten Theil des Schiffes ein. Seine Ausstattung
ist im Stil der andern Kajüten gehalten, nur sind die Meubles mit imitirtem Leder überzogen. Auf der rechten
Seite thront der freundliche Wirth im Büffet, über dem ein plastischer Schiffskünstler eine Anspielung auf den
Wein angebracht hat.
Vom Verdeck aus die Umgebung betrachtend, haben wir rechts die Vorstadt St. Pauli vor uns, wo im Som-
mer eine ganze Flotte englischer Kohlenschiffe vor Anker liegt. Der obere Theil der Häuser, die wir hier se-
hen, begrenzt den Hamburger Berg mit seinen Matrosenwirthshäusern und Tanzsalons.
Links hinaus sehen wir in blauer Ferne die Ausgänge der Lüneburger Haide bei Harburg sich nach der Elbe
herabsenken, während einige Inseln theils zu Hamburg, theils zu Hannover gehörig, den Mittelgrund bilden.
Auf ihnen wird bedeutende Viehzucht getrieben und die Umgegend von dort aus mit Milch versorgt.
Der Strand von St. Pauli bietet ein geschäftiges Hafenleben, die Koh-
lenschiffe, welche ihre Last hier ausladen, verschiedene Schiffswerfte,
Niederlagen von Tauwerk und Ankern, Bäckereien, ein großartiges
Actiengeschäft, die Dampfzuckersiederei, gleich daneben das im eng-
lischen Geschmack eingerichtete und den Hamburger Gourmands
wohlbekannte Wirthshaus „London Tavern", das Hanfmagazin, welches
sich durch sein ungeheures Dach auszeichnet, eine Thranbrennerei,
wo zum großen Nasenrümpfen der Nachbarschaft das Lieblingsgetränk
der Eskimos bereitet wird, und verschiedene Speicher bilden die Was-
serfront. Dann folgt eine Reihe von Schiffswerften, auf denen wir
Schiffe von jeder Größe, Gestalt und Altersklasse sehen, denen die
Zimmerleute unter den Bäuchen und auf dem Rücken herumkriechen,
um daran herum zu sägen, hacken, pochen und hobeln. Hier liegen
angefangene Schiffe, von Weitem ungeheuern, auf das Land gespülten
Fischgerippen ähnlich, daneben alte weitgereiste Gesellen, die man-
ches Meer und manchen Sturm gesehen haben und denen man Stücke
in die alterschwachen Seiten setzt. Das erste Werft gehört Lubau, der sich besonders in elegantem und zier-
lichem Schiffsbau auszeichnet. Die andern Werfte gehören Marbs, der sich einst den Dank der deutschen
Nation zu verdienen hoffte, indem er der seligen deutschen Flotte ein Ka-
nonenboot schenkte, das seinen Namen führte; aber Undank ist der Welt
Lohn, Hannibal Fischer verauctionirte das Kanonenboot, und Marbs mußte
so viel Spott und Hohn tragen, daß zehn Kanonenboote unter der Last der-
selben versunken wären. Den Schluß von St. Pauli bildet ein altes großes,
vor langer Zeit auf das Land gezogenes Schiff, das man zu einem Wirths-
haus eingerichtet hat und das den Namen Schiffspavillon führt.
Hier fängt nun der Altonaer Hafen an,
der besonders durch die kleine Schifffahrt sehr belebt wird und seine
meiste Frequenz dem Umstande verdankt, daß Altona Freihafen ist.
Etwa der Mitte des Hafens gegenüber
strömt der südliche Elbarm, „Köhl-
brand" genannt, in die nördliche Elbe.
Er fließt bei Harburg vorbei und be-
spült die erwähnten Milchinseln, von
denen aus alle Morgen eine Flotte
kleiner Fahrzeuge mit roth angestri-
chenen Segeln nach Hamburg steu-
ert, um die Stadt mit Kaffeemilch zu
versorgen. Diese Fahrzeuge sind
meistens ganz ausgezeichnete Segler, die gegen Wind und Wasser aufkreuzen, und deren Führer beim
größten Sturm tollkühn darauf lossegeln, wodurch schon mancher zu Grunde gegangen ist.
Dieselben Fahrzeuge werden wegen ihres geringen Tiefganges sehr
häufig zum Transport verschiedener Sachen benutzt; am hübschesten
sehen sie aber aus, wenn sie mit einer Ladung frischen Grases, das
mit Blumen durchwirkt ist, zwischen den Wiesen herauskommen.
Am Ende des Altonaer Hafens läuft
ein Gleis der Kieler Eisenbahn den
Berg herunter und verbindet hier die
Elbe mit der Ostsee. Die beladenen Wagen werden durch eine Dampfma-
schine an Drathseilen den Berg herauf- und hinabgezogen, und die Güter
direct aus den Schiffen in die Transportwagen geladen. Hart neben der Ei-
senbahn liegt am Hügelabhang der bekannte Vergnügungsort Rainville's
Garten, von wo aus man eine reizende Aussicht über die Elbe hat. Von hier
an beginnt die Zollgrenze für das Herzogthum Holstein, auch liegt hier mit-
ten im Strome das dänische Wachtschiff, das früher dem Köhlbrand gegen-
über lag.
II. - Die Elbe und ihre Ufer.
Neumühlen. - Blankenese. - Staffagen und Trachten. - Stade. - Glückstadt. - Die untere Elbe.
Während nun die linke Elbseite flaches, mit Weidengebüsch und Schilf bewachsenes Ufer zeigt, an dem
höchstens einige von Nahrungssorgen geplagte Störche herumspazieren und über das in der Ferne einzel-
ne Baumgruppen und einsame Windmühlen herüberschauen, steigt rechts das Land hügelig empor und ist
von den Gärten und Sommersitzen der Altonaer und Hamburger Geldmänner bedeckt. Eine fortlaufende
Reihe von Villen, mit wunderschönen Eichen- und Buchengruppen untermischt und von einigen Windmühlen
malerisch überragt, bietet dem Auge hier eine reizende Scenerie; zwischen den Bäumen am Ufer schauen
meistens die kleinen nett gehaltenen Lootsenhäuser hervor, vor denen
mancher alte Lootse, der sein Schäfchen aufs Trockne gebracht hat,
behaglich sein Pfeifchen schmaucht und die vorbeisegelnden Schiffe
mit kritischem Auge betrachtet. Einzelne Badekarren stehen hie und da
am Strande und eine Menge von Jollen und Booten liegt vor Anker
oder auf dem Sande. — Die Neumühlner Bootbauerei ist übrigens un-
ter den Seeleuten berühmt, weil die hier gebauten Jollen an Soliditat
und Eleganz nichts zu wünschen übrig lassen.
An Neumühlen schließt sich Oevelgönne, oder ist eigentlich eine Fortsetzung desselben und endigt mit
einem Schiffswerft. Von hier aus bis Teufelsbrücke erstrecken sich bewaldete Abhänge, auf deren Gipfel
Gärten und Landhäuser versteckt liegen. Bei Teufelsbrücke senkt sich der Abhang und läuft in eine kleine
Fläche aus, die mit Gebäuden und Gärten dicht besetzt ist und ein parkähnliches Ansehen hat. Die Hügel
erheben sich indeß sogleich wieder und steigen mehr und mehr bis an die Ortschaft Nienstädten. Nachdem
wieder eine waldige Strecke gefolgt ist, kommt Bauer's Garten, der sich bis Blankenese hinzieht, und den
ein chinesischer Thurm ziert oder verunziert, je nach dem Geschmack des Beschauers.
Ein kleines Thal mit einer Wassermühle und einigen reizend liegenden
Gebäuden ist gleichsam die Vorrede zu Blankenese, welches hier sei-
nen Anfang hat. Die Häuser liegen meist am Berge (was man hier eben
Berg nennt) zerstreut, und ihre Bewohner stehen sehr gemüthlich da-
vor, rauchen Taback, stecken die Hände in die Hosentaschen und guk-
ken auf die Elbe hinaus, indem sie der schönen alten Zeit gedenken,
wo sie noch ohne polizeiliche Einmischung den Schiffern zu Hülfe kom-
men und sie nebenbei ausplündern durften, was mit dem Kunstaus-
druck „Strandrecht" benannt wird. — Die strandrechtliche Ausübung
haben indeß jetzt die Gastwirthe übernommen, um doch noch ein An-
denken an die alte gute Zeit zu retten.
Der Süllberg überragt das Dorf und bietet eine schöne Aussicht auf die
Elbe, die hier besonders belebt ist. Man erblickt Schiffe jeder Art hinauf-
und hinabsteuernd und auf den Sandbänken sitzend, die man von hier
oben besonders gut übersehen kann. Etwas oberhalb Blankenese liegt am
andern Ufer das Fischerdorf Finkenwärder, dessen Einwohner denselben
guten Ruf (als Schiffer) genießen, wie die Blankeneser. — Die Finkenwar-
der Fischer fischen meistens in der Elbe bis Cuxhaven, während die Blan-
keneser in der See fischen und besonders bei Helgoland ihre Netze aus-
werfen. Von den Blankeneser Fischerfahrzeugen kommen die besten und zuverlässigsten Elblootsen her.
Blankenese gerade über mündet die Este in die Elbe, welche hier beinahe eine Stunde breit ist. An der Este
liegt Burtehude, jener Ort, der durch nichts weiter berühmt ist, als daß er wirklich existirt, denn im Binnen-
lande gehört er in das Reich der Fabel und wird vorwitzigen Fragern nach wohin, gewöhnlich als Reiseziel
bezeichnet. Es ist mir selbst passirt, daß sich ein sehr würdiger Leipziger, der sich auf dem Dampfboot nach
jener Gegend erkundigte, mit großer Indignation zurückzog, als ich ihm der Wahrheit gemäß sagte: „dort
liegt Burtehude". — Es findet sich überhaupt für den gebornen Leipziger auf der untern Elbe manches Inte-
ressante; denn nicht nur, daß sie an manchen Stellen einen Vergleich mit „Schimmel´s Teich" aushält, o
nein! an ihrem Endpunkte, in Cuxhaven, existirt noch etwas, das jeden Leipziger oder Den, der in den drei-
ßiger Jahren dort studirte, mit Wonne erfüllen muß. Doch davon in dem Kapitel Cuxhaven! —
Hat man Blankenese ohne strandrechtliche Behandlung passirt, so kommen eine
Reihe Haideberge und Hügel, die ganz denen in der Lüneburger Haide gleichen, zum
Vorschein, und es drängt sich dem Beobachter der Gedanke auf, als habe hier die
Elbe den letzten Zipfel der Lüneburger Haide, die man drüben in blauer Ferne sieht,
gewaltsam abgeschnitten, um Holstein damit zu erfreuen. Diese Berge und Hügel
sind übrigens die letzten traurigen Anstrengungen, welche das Ufer hier macht, um
Berge hervorzubringen. Bei einem nun folgenden Schiffswerft, das den Namen Wit-
tenbergen führt, laufen diese Hügel in Gestalt einer hohen Uferbank fort, bis sie bei
Schulau plötzlich hinter einem kleinen Gebüsch verschwinden und in Marschland
übergehen. — Hier liegt der kleine Ort Wedel, von wo in alter Zeit die Hauptfähre
nach dem andern Ufer abging.
Was die gegenüberliegende hannöversche Seite betrifft, so bleibt der Charakter
derselben fast immer gleich. — Ein fortlaufender Steindamm (Deich genannt),
über den die dahinterliegenden Bäume und Häuser hervorschauen, und kleine mit
Schilf und Weiden bewachsene Inseln wechseln mit Sandbänken ab. — Unzäh-
lige kleine Fahrzeuge kreuzen herum oder liegen auf dem Sande und erwarten die
Fluth. — Die Finkenwärder Fischer treiben hier unten besonders ihr Wesen. Das
sogenannte Kirschenland breitet sich hinter den Deichen auf der hannöverschen
Seite aus; von hier werden große Massen Obst nach England verschickt, und die
sogenannten Lüher Jollen bringen dasselbe in Körbe verpackt nach Hamburg, wo-
zu die oft mitfahrenden Landleute und besonders das Frauenvolk eine hübsche
Staffage bilden.
Unterhalb Schulau liegen zwei kleine Feuerschiffe im Strom, die sich
am Tage durch ihre rothe Farbe und des Nachts durch aufgezogene
Lichter bemerkbar machen und den Schiffern das Fahrwasser anzei-
gen. Es muß übrigens ein recht amüsanter Posten sein, den ganzen
Sommer auf solch' einem Wachtschiff zu sitzen, Abends die Lampen
anzuzünden und dieselben Morgens wieder auszulöschen, und ist die-
se Gelegenheit Leuten, welche die Ruhe lieben, besonders zu emp-
fehlen; nota bene wenn kein stürmisches Wetter ist.
Das rechte Elbufer zieht sich nun in endlosem Marschland bis nach der
See hinunter und erscheint bedeutend öder als das linke; hier mündet
zunächst die Lühe oder Luhe, welche das Kirschenland durchfließt, in
die Elbe. Dann fährt man an einigen kleinen Inseln vorbei, die den Entenjägern wohl bekannt sind, sieht eine
Dampfschiffstation, Twielenfleth, und bald darauf über Gebüsch und Bäume die fernen Kirchthürme von Sta-
de. Wo ein kleiner Fluß, die Schwinge, in die Elbe fällt, laufen die Stader Dampfschiffe ein. Hier hat der Sta-
der Zoll seine Sommerwohnung aufgeschlagen und zum Vergnügen der Vorübersegelnden hat man eine
Batterie und ein Zollhaus errichtet. Stade soll dreihunderteinundzwanzig Jahre vor Christi Geburt neu erbaut
worden sein, hat also dann jedenfalls schon vorher existirt, was indeß auf die allgemeine Weltgeschichte
keinen großen Einfluß gehabt zu haben scheint.
Von nun an zeigt sich der Fluß in beträchtlicher Breite. Am linken Ufer, wo das Fahrwasser ist, liegen zwi-
schen Bäumen und Gebüsch einzelne Bauernhäuser und man sieht hier und da zahlreiches Vieh weiden.
Die Landschaft zeigt hier übrigens nun fort und fort denselben monotonen Charakter, der bei ungünstiger
Beleuchtung sehr langweilig genannt werden kann. — Einiges Interesse erregt die
Nachricht, daß man auf der rechten Seite Glückstadt liegen sieht, wovon ich aber
vom Schiff aus nie mehr bemerken konnte, als eine Windmühle, einen großen
Schornstein, ein Stück Kirchthurm und einige unbestimmte Nebensachen, wel-
ches alles im Jahr 1620 vom König Christian IV. mit großen Geldkosten erbaut
und 1625 von Tilly fünfzehn Wochen lang vergeblich belagert ward, wahrscheinlich
um zu probiren, ob die Festung gut sei. Jetzt üben die Glückstädter großen Ein-
fluß auf die Schnürleiber und Schirme Deutschlands aus, indem sie die meisten
Grönlandsfahrer ausrüsten und auf den Wallfischfang schicken, um Fischbein zu
holen. Sonst giebt es dort nichts Merkwürdiges als einen Schiffsanker, den man
am Thurm der Stadtkirche aufgehangen hat, wo er über seine verfehlte Bestim-
mung nachdenken kann. Diesen Anker verloren die Hamburger 1630 in einer
Seeschlacht (auf der Elbe) vor Glückstadt. — Vielleicht erobern die Hamburger
einmal eine Kirchenglocke und hängen sie als Repressalie unter ein Schiff.
Links liegt die Insel Krautsand mit ihren Höfen und Feldern, rechts
Brunsbüttel. Dann zeigt sich in der Ferne die Stadt Freiburg und etwas
weiter hinab bemerkt man einen entfernten Höhenzug, worauf einige
Gebäude stehen. Von nun an treten die Ufer mehr und mehr zurück,
bis man endlich auf der rechten Seite beinahe gar nichts und auf der
linken sehr wenig sieht. Zu diesem Wenigen gehört der Ausfluß der
Oste, von wo unzählige Torfewer das Brennmaterial für Hamburg ho-
len, da der Torf von hier viel besser und schwerer ist als der aus der
Buxtehuder Gegend. Man sieht bisweilen ganze Flotten mit schwarzem
Torf beladen die Elbe hinaufsegeln, was zumeißt in den Herbstmona-
ten der Fall ist, wo die Schiffer in Hamburg schnelle Abnahme finden.
Außer diesen Torfewern steht man hier häu-
fig die Blankeneser Fischewer, die zum Fischfang in die See gehen oder dorther
kommen.
Das nun folgende Land gehört zum Lande Hadeln, welche freundliche Gegend
schon im Jahre 788 erwähnt wird, um welche Zeit Karl der Große eine Vergnü-
gungsreise dahin unternahm. Da er aber die üble Angewohnheit hatte in Beglei-
tung von 20.000 Mann zu reisen und den Einwohnern ihre kostbaren Hausgötzen
zu zerstören, so tractirten ihn diese wiederum mit ihren Wasserkünsten, indem sie
die Schleusen öffneten. Um dieses schöne Schauspiel besser genießen zu können, zog sich Karl indeß
nach den höher gelegenen Gegenden der Lüneburger Haide zurück, wo er stellenweise schwimmend an-
kam und sich sehr ungnädig über die Hadeler ausgesprochen haben soll.
Auf der rechten Elbseite sieht man nur noch hier und da etwas Land
aus der Fluth hervorschauen, es ist aber so entfernt, daß man kaum
unterscheiden kann, ob es Bäume oder Häuser sind. — Zur Ebbezeit
scheinen die Gegenstände in der Luft zu schweben, da sich die nassen
Sandflächen nicht vom Himmel unterscheiden und die darauf liegenden
Gegenstände sich scharf und klar abspiegeln, was für den Binnenländer ein neuer eigenthümlicher Anblick
ist. — Manchmal liegt dort drüben eine kleine Flotte von Fischerfahrzeugen
vor Anker, von der bei Fluthzeit blos die Masten aus dem Wasser hervor-
schauen, so daß es aussieht, als wären sie versunken. Um diesen Anblick
deutlicher zu machen, fuge ich hier zwei Skizzen bei, die durch das Fern-
rohr gezeichnet sind.
Am Lande machen sich jetzt ein paar spitze Zwillingskirchthürme bemerklich, dies ist Otterndorf, weiter
rechts sieht man das Ritzebüttler Schloß, endlich Cuxhaven, den Leuchtthurm, die Kugelbaake und noch
weiter rechts gar nichts mehr, was man auch Himmel und Wasser oder See nennt.
Man bemerkt hier schon eine bedeutende Veränderung in der Farbe des Wassers, denn obgleich es noch
nicht die Seefarbe hat, so wird es doch schon klarer und grünlicher und kann auch nicht mehr zum Trinken
gebraucht werden.
Die Elbe kann hier übrigens recht hübsche Wellen schlagen, beson-
ders wenn Nordwestwind ist, und die Seekrankheit macht dem Rei-
senden oft schon ihren Besuch, ehe er noch die eigentliche See
sieht. Bei gutem Wetter kann man aber noch einige Meilen weiter-
fahren, oft ganz bis Helgoland, ohne einem Seekranken Gesell-
schaft leisten zu müssen.
Bei dem Landeplatze, einem hölzernen Bollwerk, `die alte Liebe´
genannt, angekommen, hält das Dampfschiff einige Augenblicke an,
um die Passagiere abzusetzen, die nach Cuxhaven wollen, und
braust dann weiter, bis es den Augen der Nachblickenden hinter dem Wasser verschwindet.
III. - Cuxhaven.
Ritzebüttel. - Seebad und Leuchtturm. - Die Deiche. - Die Watten und Neuwerk. - Die Nordsee.
Das hölzerne Bollwerk, welches zum Anlegen der Dampfschiffe dient,
vertritt hier ganz die Stelle der Dresdner Terrasse, denn von hier aus
hat man sowohl über den Hafen als über die Elbe eine unbeschränkte
Aussicht. Das Dampfschiff von und nach Helgoland wird hier erwartet,
die Ankommenden gemustert, nach aufkommenden Fahrzeugen ausge-
schaut und Wind und Wetter beobachtet. Unter dem Bollwerk, an der
Treppe liegen Fährboote, womit von und an die Schiffe gesetzt wird,
was á Person 1 Mark kostet.
- Die Beschreibung der Stadt Cuxhaven, sowie der Insel Neuwerk
wird ausgespart. -
Hat man in Cuxhaven den seewärts gehenden Dampfer wieder betreten, so
entschwindet das Land bald den Blicken. An der Insel Neuwerk, der Baake
auf Schaarhörn und der Lootsgaliot vorbeisteuernd, erreicht man die Nord-
see, die sich durch ihr grünes Wasser auffallend vom Flußrevier unterschei-
det.
Bei der Schaarhörnbaake ist die Grenze des braunen und grünen Wassers
wie abgeschnitten zu sehen. Der Schaum auf den Wellen wird hier compac-
ter und weißer und hält sich bedeutend länger als auf dem Flußwasser, und
die Luft hat seewärts etwas Zarteres und Duftigeres als landwärts. Rechts
und links, wo die Sandbänke Vogelsand und Schaarhörn die Einfahrt in die
Elbe so gefährlich machen, sieht man die weißen Brandungen laufen, die,
wenn der Sturm hinter ihnen ist, alles zertrümmern, was in ihrem Bereich auf
den Grund geräth.
Da die Wellen hier eine größere Gewalt bekommen und höher und länger werden, so fängt das Schiff an zu
arbeiten, was der Seemann Stampfen (die Bewegung von vorn nach hinten) und Schlingern (von einer Seite
zur andern) nennt, und was den Passagieren im Anfang viel Spaß macht. Die Muthigsten setzen und stellen
sich dann gewöhnlich ganz vorn hin, ohne jedoch einen sichern Anhaltspunkt außer Acht zu lassen, und se-
hen der Ankunft einer Welle so ruhig entgegen, als waren sie dies längst gewöhnt. Werden sie vom Salz-
wasser etwas bespritzt, so machen sie sehr gleichgültige Gesichter oder gehen ganz langsam nach hinten
und suchen sich einen bequemen Platz, von dem sie meistens nicht eher aufstehen, als bis sie die Matrosen
bei den Beinen wegziehen, um ihnen begreiflich zu machen, daß sie in Helgoland angekommen sind.
Das immerwährende Schwanken läßt endlich den Wunsch nach einer festen Stelle in dem Reisenden auf-
kommen, er sucht eine solche im ganzen Schiff vergebens und stellt sich, ärgerlich darüber, an die Schiffs-
seite, wo der Wind nicht herkommt, was der Seemann „im Lee" nennt, während die Seite, wo der Wind her-
kommt, „Luvseite" heißt.
So sehr der Anblick recht großer Wellen früher herbeigewünscht wurde, so bald steigt der Wunsch nach
glattem Wasser in dem Reisenden auf, denn von dem Hin- und Herschwanken des Schiffes und der Er-
schütterung der Maschine wird endlich der Magen rebellisch und die Gemüthlichkeit hört auf, wo die See-
krankheit anfängt. Wir wollen indeß den traurigen Zustand unberührt lassen, in den nach und nach der größ-
te Theil der Passagiere geräth, ohne bei den Gesunden Mitleid, ja im Gegentheil noch Spott und Hohn zu
finden. Etwas Komisches hat es für den Unbetheiligten allerdings, wenn ein baumlanger straffer Lieutenant
plötzlich wie ein Taschenmesser zusammenklappt und anfängt wie ein Kind zu jammern, oder wenn ein
zärtlicher Gatte, dem sonst der leiseste Wunsch der Gemahlin Befehl war, diese jetzt mit empörender
Gleichgültigkeit nach einem Glas Wasser jammern hört und nicht einmal den Kopf nach ihr umdreht, oder
wenn jener Pastor, der früher behauptete, durch „festen Willen" die Seekrankheit bezwingen zu können,
endlich den festen Willen fahren und den Geist vom Fleisch beherrschen läßt.
Der Capitän Otten, dem für solche Leiden kein Fünkchen Mitleid mehr geblieben ist, setzt ruhig seinen Weg
fort oder ißt gar, den Magen sämmtlicher Passagiere zum Hohn, ein Beefsteak mit Eiern; denn jetzt kann er
das Schiff ruhig dem Mann am Steuer überlassen, der es auf dem ihn angegebenen Cours hält.
Endlich taucht am Horizont ein Punkt aus dem Wasser auf, der höher
und höher steigend, bald die Insel und die Gebäude darauf erkennen
läßt. Rechts davon erhebt sich nach und nach ein kleiner heller Punkt,
die Düne mit den Baaken, die für die Schiffer als Signale dienen.
Das Schiff steuert zwischen Insel und Düne hinein, wo es den Anker
fallen läßt; ein Kanonenschuß begrüßt die Ankommenden von der
Insel, die Fährboote kommen heran und Alles verläßt eilig das Schiff, um an das feste Land zu gelangen.
- Beschreibung der Insel Helgoland wurde ausgespart. -
IX. - Anhang.
Notizen für Badegäste und die Besucher von Helgoland überhaupt.
Die Abfahrtsstation der Dampfschiffe nach Helgoland war bisher blos Hamburg, nach welchem Ort sich also
der Reisende begeben muß.
Die Geldverhältnisse Hamburgs und Helgolands sind dieselben, so wie sich auch die Wirthshausrechnungen
ziemlich gleich stellen.
Das gewöhnliche Geld sind Schillinge und Mark. Von den Schillingen
gehen 40 auf einen Preußischen Thaler und l6 auf die Mark, so daß
ein Verhältniß von 5 zu 2 zwischen Mark und Thaler stattfindet.
Das Gepäck, welches man nach Helgoland mitnimmt, muß man mit
der deutlichen Adresse Helgoland und seinem Namen versehen, sonst
kann es leicht passiren, daß es unterwegs mit abgeladen wird und ver-
loren geht. Beim Landen in Helgoland braucht man sich nicht um die
Sachen zu kümmern; sind dieselben ausgeschifft, so werden sie in ei-
nen Schuppen neben dem Badehaus gebracht, wo man die seinigen aussucht und nach der Wohnung brin-
gen läßt.
Wer an der Seekrankheit leidet, thut am besten sich auf den Rücken zu legen, sobald das Schiff anfängt zu
stampfen. Mittel gegen die Seekrankheit giebt es nicht, und es ist schon vorgekommen, daß Leute, welche
etwas dagegen verschluckten, erst recht davon mitgenommen wurden. Es schadet auch gar nichts, wenn
man die paar Stunden seekrank ist, sondern curirt den Magen recht aus und erweckt für die folgenden Tage
sehr guten Appetit. Auf der Hinreise thut man wohl, kurz nach der Abfahrt von Hamburg zu frühstücken und
nicht zu warten, bis man bald in der See ist. — Auf der Herreise läßt man gewöhnlich Cuxhaven vorbei, ehe
man etwas zu sich nimmt, es ist beides der Sicherheit wegen.
Wenn man auf die Brücke geht, welche auf dem Dampfschiff der Standort des Capitäns ist, so muß man die
Seite freilassen, auf welcher der Capitän steht und dem Mann am Steuer durch eine Handbewegung die
Richtung zeigt, nach der er steuern soll. Manche Leute glauben ein Recht zu haben, überall zu stehen und
geniren den Capitän, der in der obern Elbe die größte Aufmerksamkeit anwenden muß, um das schnell lau-
fende Schiff durch die andern Fahrzeuge und die Sandbänke zu bringen. Eine Handbewegung, die dem
Mann am Steuer verloren geht, kann stundenlangen Aufenthalt und große Geldkosten verursachen. — Ge-
wöhnlich schiebt Capitän Otten die Leute stillschweigend auf die Seite, wenn es ihm gar nicht mehr möglich
ist durchzukommen. Ebenso ungern sieht er es, wenn sich verwegene Landratten auf die Radkasten stellen,
obgleich er es stillschweigend und unter der Voraussetzung gestattet, daß sie „schwimmen" können.
Eben so wenig muß man eine Unterhaltung mit dem „Mann am Steuer" anknüpfen. Es ist dies ein Matrose,
der alle Stunden abgelöst wird und seine ganze Aufmerksamkeit auf den Capitän oder in See auf den anbe-
fohlnen Compaßstrich richten muß. Die Binnenländer halten ihn stets fur den Steuermann und betrachten
ihn mit viel Respect.
Dem Steward, der ungefähr dasselbe ist, was im Hotel ein Kellner vorstellt, sollte man nach genossener
Seekrankheit ein kleines Trinkgeld zu geben nicht vergessen, denn er verdient es wohl wegen seiner Be-
mühungen.
Den Matrosen, wenn es rechte Seeleute sind, darf man in dieser Form nichts anbieten, denn diese pflegen
Trinkgelder zu verachten, wenn sie nicht von Passagieren einer großen Reise kommen, welche dann etwas
für die Mannschaft an den Steuermann geben.
Die Abgangszeit der Dampfschiffe von Hamburg ist Sonnabends, Dienstags und Donnerstags früh 9 Uhr von
der Landungsbrücke in St. Pauli. Die Fahrt dauert gewöhnlich 7—8 Stunden, was sich jedoch nach dem
Wetter richtet.
Manchmal macht das kleinere Dampfschiff Elbe Extrafahrten, die billiger zu stehen kommen, als die regel-
mäßigen.
Das Dampfschiff Helgoland hat letzt blos einen Platz, der 15 Mark kostet; wenn man jedoch sogleich wieder
mit zurückfährt, bezahlt man 24 Mark.
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Nachtrag
Das hier beschriebene Seebäderschiff `Helgoland´ (1) wird 1853 im Auftrag des Ham-
burger Handelshauses und Reeders Johann Cesar Godeffroy auf der schottischen
Werft Caird & Co. in Greenock gebaut. Es handelt sich um ein seitenrad-getriebenen
Stahldampfschiff, welches am 31. Mai 1854 vom Stapel läuf. Mit seiner 180 PSn
Zweikessel-Maschine erreicht er die für derzeitige Verhältnsse hohe Reisegeschwin-
digkeit von 15 Knoten. Von Anbeginn wird das Schiff in den Linendienst Hamburg -
Cuxhaven - Helgoland eingesetzt. Noch im gleichen Jahr mit 62 Fahrten sehr erfolg-
reich, nimmt schon ab dem Folgejahr die Reisenachfrage kontinuierlich ab, sodass
das Schiff 1863 nach England verkauft, unter dem Namen `Raccon´ als Schlepp-
dampfer eingesetzt wird.
Seebäderdampfschiff `Helgoland (1)´
Abspann
Quellen
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Siehe Überschriften der einzelnen Beiträge
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Google Books
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Theodor F. Siersdorfer: Hamburg - Cuxhaven - Helgoland -- Chronik der Niederelbe-Bäderdampfer,
ISBN 3-87321-924-7
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Cuxhavener Tageblatt